Posttraumatische Belastungsstörung

August 20, 2015

Die Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) ist eine mögliche Folge eines oder mehrerer belastender Ereignisse, die bei fast jedem Menschen zu ausgeprägter Verzweiflung führen würden. Die PTBS ist vielschichtig hinsichtlich Symptomatik und daraus resultierender Einschränkungen im bio-psycho-sozialen Lebenskontext.

Die typischen Symptome sind sich aufdrängende, belastende Gedanken und Erinnerungen an das Trauma, das Wiedererleben der Ereignisse im Gedächtnis, in Tagträumen oder Träumen (Intrusionen), Vermeidungsverhalten, emotionale Taubheit mit Interessenlosigkeit oder Entfremdung von anderen Menschen.

Es wird vermutet, dass die klassischen Symptome einer PTBS (Übererregung, Vermeidung, Intrusion) häufig nach Monotraumata auftreten. Komplexe Störungsbilder (gestörte Affektregulation, selbstdestruktives Verhalten, Aufmerksamkeitsstörungen, Störungen des Bewusstseins, dissoziative Störungen, Veränderung der Bedeutungssysteme) werden nach chronischen Traumata oder Multitraumata erwartet und vor allem im angloamerikanischen Sprachraum als Komplexe Posttraumatische Belastungsstörungen bezeichnet.

Eine PTBS entsteht weder aufgrund einer erhöhten psychischen Labilität noch ist sie Ausdruck einer (psychischen) Erkrankung. Auch psychisch gesunde und gefestigte Menschen können eine PTBS entwickeln. Es gibt jedoch bestimmte Risikofaktoren, die es wahrscheinlicher machen, dass eine Person das Vollbild der PTBS entwickelt.

Risikofaktoren sind belastende Lebensereignisse oder Lebensumstände, die einzeln oder in ihrem Zusammenwirken die Entstehung einer PTBS begünstigen. Risikofaktoren können entweder zeitlich vor dem Trauma liegen (prätraumatische Risikofaktoren), in der traumatischen Erfahrung selbst begründet sein oder zeitlich nach dem Trauma liegen (posttraumatische Risikofaktoren). Risikofaktoren sind unter anderem eine lange Dauer und schwere Stärke des Traumas.

Im Vergleich zu Unfällen oder Naturkatastrophen zieht die Erfahrung von menschlicher Gewalt (zum Beispiel durch Vergewaltigung, Krieg, politische Verfolgung oder Folter) meist tiefgreifendere Folgen nach sich. Grausamkeiten, die Menschen etwa während eines Krieges oder in Gefängnissen, sowohl als Augenzeugen als auch als Opfer miterlebt haben, lassen sich nicht mit ihrem bisherigen Weltbild vereinbaren. Es bleibt «ein namenloses Grauen, das unvereinbar ist mit dem ursprünglichen Glauben an die Existenz von Menschlichkeit». Menschen, die bereits vor dem Trauma unter psychischen Problemen litten, sind besonders oft betroffen. Personen ohne soziales Netzwerk sind ebenfalls besonders anfällig.

Die Diagnostik der PTBS erfolgt überwiegend klinisch und seit dem Jahr 1978 anhand der Kriterien der ICD (International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems) bzw. DSM (Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders). Stützend werden international anerkannte, psychometrische Testverfahren eingesetzt, z.B. die «Impact of Event»-Skala zur Erfassung von psychischen Belastungsfolgen oder das Strukturierte Klinische Interview für DSM-IV-Dissoziative Störungen. Bisher wird die PTBS den Angststörungen zugerechnet. Die hohe Inzidenz komorbider Störungen wie Depressionen, anderer Angststörungen, Somatisierungsstörungen, Sucht oder Schlafstörungen kann die Diagnose einer PTBS erschweren.

Kriterien einer Posttraumatischen Belastungsstörung (nach ICD-10)

Stressor: Ereignisse oder Situationen aussergewöhnlicher Bedrohung oder katastrophenartigen Ausmasses, die bei fast jedem eine tiefe Verstörung hervorrufen würden.

Symptome

Notwenige Symptome

  • Wiederholte, sich aufdrängende Erinnerungen oder
  • Wiedererleben des Ereignisses in Gedächtnis, Tagträumen oder Träumen (Intrusionen)

Andere typische Symptome

  • Andauerndes Gefühl von Betäubtsein und emotionaler Stumpfheit (Numbing)
  • Anhedonie (Unfähigkeit, Freude und Lust zu empfinden)
  • Vermeidung traumaassoziierter Stimuli
  • Sozialer Rückzug
  • Konzentrationsstörungen

Unspezifische Symptome

  • Vegetative Übererregtheit mit Vigilanzsteigerung, Affektintoleranz, übermässige Schreckhaftigkeit und Schlaflosigkeit
  • Angst und Depression
  • Erinnerungslücken
  • Depersonalisation: Das Gefühl, ausserhalb des eigenen Körpers oder von sich losgelöst zu sein (z.B. das Gefühl, als ob «das nicht mir passiert» wäre oder das Gefühl in einem Traum zu sein).
  • Derealisation: Das Gefühl von Unrealität, Distanz oder Realitätsverzerrung (z.B. «diese Dinge sind nicht real»).

Seltenere Symptome

  • Akute Ausbrüche von Angst, Panik
  • Mangelnde Impulskontrolle

Verlauf

  • Symptome treten üblicherweise innerhalb von 6 Monaten nach dem belastenden Ereignis auf. Eine verzögerte PTBS nach vielen Jahren ist jedoch möglich.
  • Das Störungsbild (Auftreten aller Symptome) dauert länger als einen Monat.

Pathogenese

Gelingt die emotionale und kognitive Integration des als traumatisierend Erlebten nicht oder in unzureichender Weise, kann das Geschehene nicht zusammenhängend in Form des sogenannten Narrativs im Gedächtnis abgelegt werden.
Die Gedächtnisinhalte bleiben fragmentiert und die Erinnerungsdetails sind als Sinneseindrücke und emotionale Eindrücke stets aktuell. Es besteht immer ein «Hier und Jetzt» des (Wieder-)Erlebens, kein «Dort und Damals» der Erinnerung.
Intensive und anhaltende Gefühle von Hilfslosigkeit, Ohnmacht, Bedrohung und starker Angst lösen die physiologische Stresskaskade immer wieder aus.

Therapie der PTBS

Ziel der PTBS-Therapie ist die Wiedererlangung früherer Ich-Funktionen oder der Erwerb von Funktionen, die infolge der Traumatisierung nicht entwickelt wurden. Zunächst ist eine frühzeitige Anbindung an fachspezifische ambulante Settings zur Diagnostik und Therapieeinleitung indiziert. Gleichzeitig sind das Schaffen einer sicheren Umgebung, der Abbruch von Kontakten zu Tätern und die Aktivierung sozialer Hilfesysteme wichtig. Die eigentliche Behandlung erfolgt mehrphasig auf der Basis anerkannter Verfahren wie der Mehrdimensionalen Psychodynamischen Traumatherapie, der Psychodynamischen Imaginativen Traumatherapie oder der Traumazentrierten Psychotherapie.

Zusammenfassend kann die Therapie in 3 Phasen erfolgen:

  • Stabilisierung (Etablierung einer vertrauensvollen therapeutischen Arbeitsbeziehung), dann
  • Konfrontation mit Traumatisierung (Traumaexposition, Traumaanalyse) und schliesslich
  • Reintegration (Abschiednahme, Neubewertung der Vergangenheit und soziale- und berufliche Reintegration).