Der schwarze Punkt und das weisse Blatt

Januar 4, 2017

Eine gute Freundin von uns hat mir die folgende Erzählung als Anregung für Gedanken zum neuen Jahr geschickt.
Es ist tatsächlich so, dass wir im Alltag häufig das Essentielle vergessen und uns vielmehr auf den Mangel oder auf „nicht Gelungenes“ konzentrieren und fixieren, was unser Leben aber nicht einfacher  macht.
Eine fröhliche Lektüre mit viel Leichtigkeit wünsche ich Ihnen als Leserinnen und Leser unserer Homepage.

Eines Tages kam ein Professor in die Klasse und schlug einen Überraschungstest vor. Er verteilte sogleich das Aufgabenblatt, das wie üblich mit dem Text nach unten zeigte. Dann forderte er seine Studenten auf, die Seite umzudrehen und zu beginnen. Zur Überraschung aller gab es keine Fragen – nur einen schwarzen Punkt in der Mitte der Seite. Nun erklärte der Professor folgendes:
„Ich möchte Sie bitten, das aufzuschreiben, was Sie dort sehen.“
Die Schüler waren verwirrt, aber begannen mit ihrer Arbeit.

Am Ende der Stunde sammelte der Professor alle Antworten ein und begann, sie laut vorzulesen. Alle Schüler ohne Ausnahme hatten den schwarzen Punkt beschrieben – seine Position in der Mitte des Blattes, seine Lage im Raum, sein Grössenverhältnis zum Papier etc.

Nun lächelte der Professor und sagte:
„Ich wollte Ihnen eine Aufgabe zum Nachdenken geben. Niemand hat etwas über den weissen Teil des Papiers geschrieben. Jeder konzentrierte sich auf den schwarzen Punkt – und das Gleiche geschieht in unserem Leben. Wir haben ein weisses Papier erhalten, um es zu nutzen und zu geniessen, aber wir konzentrieren uns immer auf die dunklen Flecken.

„Man muss ins Dunkle, um die Sterne zu sehen“  (Wolfgang J. Reus)

Unser Leben ist ein Geschenk, das wir mit Liebe und Sorgfalt hüten sollten, und es gibt eigentlich immer einen Grund zum Feiern – die Natur erneuert sich jeden Tag, unsere Freunde, unsere Familie, die Arbeit, die uns eine Existenz bietet, die Wunder, die wir jeden Tag sehen

Doch wir sind oft nur auf die dunklen Flecken konzentriert – die gesundheitlichen Probleme, der Mangel an Geld, die komplizierte Beziehung mit einem Familienmitglied, die Enttäuschung mit einem Freund, Erwartungshaltung usw.

Die dunklen Flecken sind sehr klein im Vergleich zu allem, was wir in unserem Leben haben, aber sie sind diejenigen, die unseren Geist beschäftigen und trüben.

Nehmen Sie die schwarzen Punkte wahr, doch richten Sie Ihre Aufmerksamkeit mehr auf das gesamte weisse Papier und damit auf die Möglichkeiten und glücklichen Momente in Ihrem Leben, und teilen Sie diese mit Ihren Mitmenschen.

„Auch im Dunkeln siehst du mit der Zeit besser“ (Anke Maggauer-Kirsche)

 

In diesem Sinne sollte man die Ströme des Lebens mit positiver Achtsamkeit, Zuversicht und Leichtigkeit mit auf den Weg nehmen.

Ein guter, pensionierter Freund von mir las diese Geschichte und fügte seine Gedanken dazu:

Mir ist dazu Folgendes in den Sinn gekommen: Wir Menschen wissen nur etwas mit absoluter Sicherheit: dass wir eines Tages sterben werden. Und nun, nehmen wir einmal an, jemand wird 80 Jahre alt. Das bezeichnet man ja gern als „ein schönes Alter“. Wenn der Mensch also 80 Jahre alt geworden ist, dann hat er fast 30’000 Tage gelebt. Und an keinem dieser fast 30’000 Tage ist er gestorben! Aber wieviel Tage davon hat er in Angst vor dem Tod gelebt, sich Schreckliches ausgemalt oder sich in dunkle Gedanken vertieft – statt zu leben! So betrachtet war dieses Brüten doch sinnlos und umsonst!? – Ich weiss schon, dass man dazu noch viel anfügen könnte, aber Tage zu zerstören mit unnötiger Vorausnahme von etwas, das dann nicht geschieht, ist eigentlich absurd…Man soll doch leben, solange man lebt!

Und eine andere Geschichte: Mein dreijähriger Enkel malte mit Filzstiften in allen Farben wilde Schlangenlinien und ein grosses Durcheinander auf ein grosses Papier. Er füllte das ganze Papier und brachte es mir stolz. Natürlich konnte er nicht sagen, was das nun „bedeuten“ sollte. Ich lobte ihn einfach und sagte dann, etwas weniger sei vielleicht auch nicht schlecht, man komme dann vielleicht besser „draus“. Da nahm er ein neues Blatt Papier, ging in ein anderes Zimmer und brachte es mir stolz zurück: Darauf war ein winziger blauer Punkt, sonst nichts. Als ich sehr erstaunt war, sagte er schelmisch: „Gefällt es dir besser so?“ und lachte hoch vergnügt, weil er mich erwischt hatte.