Harninkontinenz, unwillkürlicher Abgang von Urin

November 20, 2015

Was bedeutet Harninkontinenz?

  • Unter Harninkontinenz wird der unwillkürliche bzw. ungewollte Abgang von Urin verstanden.
  • Umgangssprachlich hat sich der Begriff Blasenschwäche etabliert.
  • Obwohl Harninkontinenz sehr verbreitet ist, haben viele Betroffene Hemmungen, darüber zu reden.
  • Eine Harninkontinenz kann die Lebensqualität stark beeinträchtigen. Soziale Kontakte und Freizeitaktivitäten werden immer mehr reduziert.

«Leider gibt es für verbale Inkontinenz keine Windeln.» (Hermann Lahm)

Es werden verschiedene Formen der Inkontinenz unterschieden

  • Belastungsinkontinenz (Stressinkontinenz) kann bei körperlicher Aktivität, wie beim Anheben von schweren Gegenständen, beim Treppensteigen oder Niessen passieren. Ursache dafür ist eine Schwäche des Schliessmuskels oder der Beckenbodenmuskulatur. Bei Frauen ist die Belastungsinkontinenz oft Folge mehrfacher Geburten, die zu einer Überdehnung und Erschlaffung von Haltebändern und des Beckenbodens führen können. Beim Mann dagegen ist diese Form der Inkontinenz meist Folge einer traumatischen Schädigung des äusseren Blasenschliessmuskels durch Operationen (z. B. radikale Prostatektomie) oder Unfälle.
  • Dranginkontinenz äussert sich durch häufiges Wasserlassen und plötzlich auftretenden, starken Harndrang. Ursache dieser Form von Inkontinenz ist eine überaktive Blasenmuskulatur. Vor allem während der Nacht kann diese Form der Inkontinenz sehr unangenehm sein, da der Schlaf häufig unterbrochen wird. Der Grund dafür ist eine gesteigerte Tätigkeit der Blasenmuskulatur. Grund sind Kontraktionen der Blasenleerungs-Muskulatur, häufig verursacht durch lokale entzündliche Prozesse (z. B. Blasenentzündungen), Übergewicht, Diabetes mellitus oder durch Schäden der diese Muskeln steuernden Nerven, wie zum Beispiel bei der Alzheimer-Krankheit, der multiplen Sklerose, der Parkinson-Krankheit oder nach einem Schlaganfall.
    Bekannt sind auch Formen von gemischter Inkontinenz. Diese Patientinnen leiden sowohl an unwillkürlichem Urinverlust bei körperlichen Aktivitäten als auch an Dranginkontinenz.
  • Überaktive Blase (engl. overactive bladder, OAB, Reizblase), darunter versteht man eine funktionelle Störung der Blasenfunktion ohne organpathologischen Befund. Es kommt dabei zu einer gehäuften Blasenentleerung (Pollakisurie) mit oder ohne unfreiwilligen Harnabgang (Harninkontinenz). Die Reizblase tritt vornehmlich bei Frauen in der 3. bis 5. Lebensdekade auf.
  • Überlaufinkontinenz tritt infolge einer mechanischen Abflussbehinderung des Urins auf. So kann, z.B. aufgrund einer Prostatavergrösserung, die Harnröhre verengt sein. Hat der Druck in der Blase einen bestimmten Wert erreicht, so reicht die Verschlusskraft des Schliessmuskels nicht mehr aus, und die Blase läuft über.
  • Reflexinkontinenz: Die Reflexinkontinenz entsteht durch eine Störung oder Zerstörung der vom Gehirn ausgehenden Hemmungsbahnen und damit zu einem Überwiegen der Aktivitätsimpulse des Reflexbogens zwischen Harnblase und Blasenzentrum im Kreuzteil des Rückenmarks (S2–4). Diese führen zu reflexartigen Detrusor-Kontraktionen mit Harnabgang. Ein weiteres Problem besteht in der fehlenden Koordination der beteiligten Muskeln, so dass es häufig zur inkompletten Entleerung mit Restharn kommt (Detrusor-Sphinkter-Dyssynergie). Ein solcher Zustand tritt beispielsweise nach einer Querschnittlähmung oberhalb des Blasenzentrums auf. Degenerative zentralnervöse Veränderungen, etwa bei an multipler Sklerose Erkrankten, können den gleichen Effekt zeigen.
  • Extraurethrale Inkontinenz: Hier liegt keine Insuffizienz des Verschlussapparates der Harnröhre (Urethra) vor. Der natürliche Harnausgang wird beispielsweise durch eine angeborene Fehlmündung eines Harnleiters hinter den Schliessmuskel, eine Zystozele, Urethrozystozele oder eine verletzungsbedingte Fistel, wie etwa eine Blasen-Mastdarm- oder Blasen-Scheiden-Fistel als Operations- oder Bestrahlungsfolge umgangen. Die Therapie erfolgt meistens durch eine operative Korrektur.
  • Lachinkontinenz gilt als eigenständige Form der Harninkontinenz. Typischerweise tritt diese Art der Inkontinenz im Alter von 5 bis 7 Jahren auf und ist besonders häufig bei Mädchen zu Beginn der Pubertät anzutreffen. Beim Lachen verlieren Betroffene die Kontrolle über die Blasenfunktion, und es kommt zur vollständigen Entleerung der Blase. Anders als bei anderen Formen der Inkontinenz sind der Blasenapparat und umliegende Organe völlig gesund. Ein Harndrang wird vor dem Einnässen nicht empfunden. Eine Behandlung kann mit Medikamenten, u. a. Methylphenidat oder durch Physiotherapie, speziell Beckenbodentraining erfolgen.

«Akzeptiere die Diagnose, aber nicht die Prognose.» (Dr. Ebo Rau)

Es ist wichtig, dass die Patienten den ärztlichen Rat suchen. Eine saubere Diagnostik ermöglicht auch eine geeignete Therapie.

Die Harninkontinenz auch im Sexualleben hat eine enorme Bedeutung.  Die Erhalt der Kontinenz z.B. nach der Prostataoperation ist für die Psyche und Lebensqualität der Patienten viel wichtiger als die Potenz. Um die Urinkontrolle möglichst bald und gut wieder zu erreichen gehen die Patienten bereits vor der Operation ins Beckenbodentraining.