Die Depression: mehr als eine chronische Müdigkeit

November 20, 2024

Chronische Müdigkeit

Chronische Müdigkeit ist mehr als nur eine vorübergehende Erschöpfung nach einem langen Tag oder einer schlechten Nacht. Während normale Ermüdung durch Schlaf und Erholung ausgeglichen werden kann, bleibt die chronische Form über einen langen Zeitraum bestehen, oft ohne erkennbare Ursache.

Gewisse Erkrankungen oder Ungleichgewichte im Körper können dazu führen, dass sich Menschen dauerhaft erschöpft fühlen. Eine Funktionsstörung der Schilddrüse (Hypo- oder Hyperthyreose) verlangsamt den Stoffwechsel und führt zu Antriebslosigkeit, Gewichtszunahme und anhaltender Müdigkeit. Wenn der Körper nicht genug Eisen hat, wird der Sauerstofftransport im Blut beeinträchtigt, was zu ständiger Fatigue führt. Auch schwankende Blutzuckerwerte können den Körper stark belasten und Ermüdung auslösen. Atemaussetzer, Schlafapnoesyndrom, in der Nacht verhindern einen erholsamen Schlaf und können Tagesmüdigkeit verursachen. Ein eingeschränkter Sauerstoffaustausch durch chronische Lungenerkrankungen wie COPD kann zu Energiemangel und ständigem Erschöpfungszustand führen.

Manche Menschen entwickeln chronische Müdigkeit nach bestimmten Infektionen. Besonders oft wird ein Zusammenhang mit folgenden Erregern diskutiert. Das Pfeiffersche Drüsenfieber (Epstein-Barr-Virus), Röteln oder Herpesviren stehen im Verdacht, das Immunsystem langfristig zu belasten. Chlamydien, Legionellen (Legionärskrankheit) oder Coxiellen (Q-Fieber) können chronische Erschöpfung nach einer überstandenen Infektion auslösen.

Die Psyche spielt eine grosse Rolle. Oft sind psychische Erkrankungen nicht nur eine Folge, sondern auch eine Ursache. Depressionen und Angststörungen gehen oft mit Antriebslosigkeit einher. Ein dauerhaft erhöhter Cortisolspiegel kann den Körper überlasten und in einen Zustand chronischer Erschöpfung führen. Schicksalsschläge wie der Verlust eines geliebten Menschen oder der Verlust des Arbeitsplatzes können zu Fatigue beitragen.

Manchmal sind es alltägliche Gewohnheiten oder Umwelteinflüsse, die zur Müdigkeitsverstärkung beitragen. Fast die Hälfte der Betroffenen klagt über Schlafprobleme, die das Immunsystem schwächen und die Leistungsfähigkeit mindern können. Auch Bewegungsmangel trägt dazu bei, dass man sich schneller schlapp fühlt. Nährstoffmängel (z. B. Defizit an Vitamin B12, Vitamin D oder Folsäure) kann Konzentrationsprobleme verursachen. Manche Medikamente, wie Antidepressiva, Allergiemittel oder Migränemedikamente, haben Ermüdung als Nebenwirkung. Alkohol, Nikotin und Drogen können Schlafprobleme verursachen und den Körper zusätzlich belasten.

„Wenn du dich auch über die kleinen Dinge des Lebens freuen kannst, wird jeden Tag ein Festtag.“  (Unbekannt).

Was tun gegen Müdigkeit?

  • Optimieren Sie Ihren Schlafrhythmus. Achten Sie darauf, zu festen Zeiten ins Bett zu gehen und aufzustehen, auch am Wochenende.
  • Verbessern Sie Ihre Schlafqualität. Dunkle und kühle Räume, eine bequeme Matratze und eine ruhige Umgebung fördern erholsamen Schlaf.
  • Versuchen Sie, Stress abzubauen. Entspannungstechniken wie Yoga, Autogenes Training oder Meditation helfen, den Geist zur Ruhe zu bringen.
  • Integrieren Sie Bewegung in Ihren Alltag. Schon 30 Minuten Spazierengehen, Radfahren oder Schwimmen täglich stabilisieren den Kreislauf.
  • Achten Sie darauf, Ihre Ernährung bewusst zu gestalten. Setzen Sie auf frische Lebensmittel wie Obst, Gemüse, Hülsenfrüchte und Vollkornprodukte.
  • Sorgen Sie ständig dafür, die Nährstoffmängel auszugleichen. Eisen, Magnesium, Vitamin D und B-Vitamine sind essenziell für die Energieproduktion.
  • Behalten Sie Flüssigkeitshaushalt im Blick. Trinken Sie ausreichend Wasser, um Dehydrierung als Ursache für Müdigkeit auszuschliessen.
  • Reduzieren Sie Koffein und Zucker. Beide liefern zwar kurzfristige Energie, sorgen aber später für einen Leistungsabfall.
  • Setzen Sie Powernaps gezielt ein. Ein 10–20-minütiges Nickerchen kann erfrischen, längere Schlafphasen tagsüber stören aber den Nachtschlaf.
  • Nutzen Sie Tageslicht. Natürliches Licht kurbelt die Serotoninproduktion an und hilft, die innere Uhr zu regulieren.
  • Probieren Sie Wechselduschen aus. Kaltes Wasser regt den Kreislauf an und kann für einen sofortigen Frische-Kick sorgen.
  • Checken Sie Ihre Medikamente. Einige davon wie Antihistaminika oder Cholesterinsenker können Müdigkeit verstärken.
  • Versuchen Sie, regelmässige Pausen einzuplanen, statt stundenlang durchzuarbeiten.  Kurze Erholungspausen helfen, die Konzentration zu erhalten.
  • Hören Sie auf die innere Uhr. Ob Frühaufsteher oder Nachtmensch – passen Sie Ihre Aktivitäten an Ihren natürlichen Biorhythmus an.
  • Entwickeln Sie eine gesunde Abendroutine. Vermeiden Sie Bildschirme vor dem Schlafengehen und schaffen Sie eine entspannende Atmosphäre.
  • Tanken Sie frische Luft. Regelmässige Spaziergänge an der frischen Luft können die Sauerstoffversorgung verbessern.
  • Sorgen Sie für Energie-Kick mit der richtigen Ernährung: Nüsse, Bananen oder dunkle Schokolade liefern wertvolle Nährstoffe und schnelle Energie.
  • Behalten Sie Ihre mentale Gesundheit im Blick. Psychische Belastungen wie Angst oder Depression können ebenfalls chronische Erschöpfung verursachen.
  • Durchaus wichtig sind Achtsamkeit und Selbstfürsorge. Hören Sie auf Ihren Körper und gönnen Sie sich bewusste Erholungsmomente.

Wenn Müdigkeit über Wochen anhält, kann eine medizinische Untersuchung sinnvoll sein

„Glück, Freude und Zuversicht sind der Sonnenschein für jeden Tag. “ (Unbekannt)

Depression gehört mit einer Lebenszeitprävalenz (im Lauf des Lebens) von rund 20% zu den häufigsten psychiatrischen Erkrankungen überhaupt.
Patienten kommen primär nicht wegen «Depression» in die Arztpraxis. Vielmehr melden sich depressive Patienten zu einem grossen Teil aufgrund unspezifischer somatischer Symptome wie Rücken-, Nacken-, Gelenk- und Kopfschmerzen, Bauchbeschwerden, Müdigkeit, Schwindel, Schlafstörungen.
Die Kriterien der Depression nach ICD-10 (Internationale Klassifikation der Krankheiten) sind wie folgt (Diagnosekriterien der unipolaren Depression):

Hauptkriterien bzw. Hauptsymptome

  • Gedrückte, depressive Stimmung
  • Interessenverlust, Freudlosigkeit
  • Antriebsmangel, erhöhte Ermüdbarkeit

Nebenkriterien bzw. Zusatzsymptome

  • Verminderte Konzentration und Aufmerksamkeit
  • Vermindertes Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen
  • Gefühle von Schuld und Wertlosigkeit
  • Negative und pessimistische Zukunftsperspektiven
  • Suizidgedanken und/oder -Handlungen
  • Schlafstörungen
  • Verminderter Appetit

Zeitkriterium

  • Symptome mindestens über zwei Wochen vorhanden

 Schweregrad

Leichte Depression: 2 Hauptsymptome plus 2 Zusatzsymptome

Mittelschwere Depression: 2 Hauptsymptome plus 3-4 Zusatzsymptome

Schwere Depression: 3 Hauptsymptome plus über 4 Zusatzsymptome

 

Neuere Forschungen konnten zeigen, dass sich Nervenzellen im Gehirn während depressiver Episoden langsamer neu vernetzen und sich damit das Gehirn schlechter an neue Reize anpassen kann. Die sogenannte synaptische Plastizität ist herabgesetzt. Die verminderte neuronale Anpassungsfähigkeit könnte viele Symptome einer Depression erklären.
Die Forscher gehen davon aus, dass es sich bei der verminderten synaptischen Plastizität um eine Ursache der Depression handelt und nicht nur um eine Folge.
Neben einer etablierten Depressionstherapie hat sportliche Betätigung eine positive Wirkung auf die synaptische Plastizität gezeigt.
Depression ist ein deutlicher Prädiktor (Vorzeichen) für mikro- und makrovaskuläre (Gefäss-) Erkrankungen, einschliesslich zerebraler Infarkte. Bereits bei leichtgradiger Depressivität eines Patienten mit Diabetes vervielfacht sich das Risiko für eine kardiovaskuläre Erkrankung.

Also gilt hier auch das Motto: gute Ernährung, mentale Entlastung und genügend Bewegung.

«Wer mit Winter-Depressionen endet, sollte mit Frühlings-Gefühlen anfangen.» (Helmut Glassl)

 

Die postpartale Depression wird häufig nach wie vor tabuisiert. Wenn sich eine Frau nach der Geburt über ihr Kind nicht freuen und keine Beziehung zu ihm aufbauen kann, ist an eine postpartale Depression zu denken.  Zwangsgedanken, Impulse, dem Kind etws antun zu können, sowie Suizidgedanken müssen bei der betroffene Frau nachgefragt und ernst genommen werden.

 

Wann wird Traurigkeit zur Krankheit?

Eine Trauerreaktion auf den schmerzlichen Verlust eines geliebten Menschen ist verständlich und normal. Die Zeichen und Symptome der Trauer können aber auch länger als gewöhnlich andauern, dann spricht man von einem komplizierten Trauerverlauf. Dieser hat langfristige soziale, psychische und physiche negative Auswirkungen, ähnlich wie bei der Depression. Durch Erkennen dieser ungünstigen Konstellation kann die betroffene Person frühzeitig therapiert werden. Dazu gehören:

  • die Lage (er-)klären: Diskussion über die Natur des Verlustes, über Trauer und deren Adaptationsprozesse
  • Selbstregulation durch Selbstbeobachtung und Reflexion unterstützen
  • Strategien finden und aufbauen, um sinnhafte Kontakte zu anderen Personen zu schliessen, um Schmerz zu teilen und Hilfe zuzulassen
  • Ziele setzen wie neue Aktivitäten zu finden, Enthusiasmus, Hoffnung und Freude zu erleben
  • Die Welt wieder erleben und vermiedene Situationen zu konfrontieren

 

„Jede Impression ohne Expression bedeutet Depression.“ (Sprichwort, unbekannt)

 

Für diejenigen, welche gerne weiter lesen möchten und Zeit finden:

Goethe: FAUST, Zweiter Teil, Fünfter Akt

Der alte Universalgelehrte Faust ist allein in seinem Palast. Da wollen Geister zu ihm hinein, in der Gestalt alter Frauen: Mangel, Schuld, Not – aber Faust ist hier nicht verwundbar, das sind keine Probleme für ihn. Also jagt er sie fort, aber etwas stimmt noch nicht:

Faust:
…Die Pforte knarrt, und niemand kommt herein.
Ist jemand da?

Sorge:
Die Frage fordert Ja!

Faust:
Und du, wer bist denn du?

Sorge:
Bin einmal da.

Faust:
Entferne dich!

Sorge:
Ich bin am rechten Ort.

Faust:
Nimm dich in Acht und sprich kein Zauberwort!

Sorge:
Würde mich kein Ohr vernehmen,
Müsst es doch im Herzen dröhnen;
In verwandelter Gestalt
Üb’ ich grimmige Gewalt.
Auf den Pfaden, auf der Welle,
Ewig ängstlicher Geselle,
Stets gefunden, nie gesucht,
So geschmeichelt wie verflucht. –
Hast du die Sorge nie gekannt?

Faust will von ihr nichts wissen, berichtet von seiner Lebensgeschichte. Die «Sorge»  beschreibt sich selber:

Sorge:
Wen ich einmal mir besitze,
Dem ist alle Welt nichts nütze;
Ewiges Düstre steigt herunter,
Sonne geht nicht auf noch unter,
Bei vollkommnen äussern Sinnen
Wohnen Finsternisse drinnen,
Und er weiss von allen Schätzen
Sich nicht in Besitz zu setzen.
Glück und Unglück wird zur Grille,
Er verhungert in der Fülle;
Sei es Wonne, sei es Plage,
Schiebt er’s zu dem andern Tage,
Ist der Zukunft nur gewärtig,
Und so wird er niemals fertig.

Faust:
Hör auf! So kommst du mir nicht bei!
Ich mag nicht solchen Unsinn hören.

Sorge:
Soll er gehen? Soll er kommen?
Der Entschluss ist ihm genommen;
Auf gebahnten Weges Mitte
Wankt er tastend halbe Schritte,
Er verliert sich immer tiefer,
Siehet alle Dinge schiefer,
Sich und andre lästig drückend,
Atem holend und erstickend;
Nicht erstickt und ohne Leben,
Nicht verzweifelnd, nicht ergeben.
So ein unaufhaltsam Rollen,
Schmerzlich Lassen, widrig Sollen,
Bald Befreien, bald Erdrücken,
Halber Schlaf und schlecht Erquicken
Heftet ihn an seine Stelle
Und bereitet ihn zur Hölle.

Faust:
Unselige Gespenster! So behandelt ihr
Das menschliche Geschlecht zu tausend Malen.
Gleichgültige Tage selbst verwandelt ihr
In garstigen Wirrwarr netzumstrickter Qualen.
Dämonen, weiss ich, wird man schwerlich los,
Das geistig-strenge Band ist nicht zu trennen;
Doch deine Macht, o Sorge, schleichend gross,
Ich werde sie nicht anerkennen!