Farblose Fingerspitzen

Januar 4, 2018

Eine junge Patientin kam sehr erschrocken in die Praxis. Vor zwei Stunden seien ihre Fingerspitzen weiss, dann blau und schliesslich rot geworden. So etwas habe sie noch nie erlebt. Sie hätte auch keine Schmerzen gehabt.

Kälte Hände sind bei kühler Witterung nichts Besonderes. Doch wenn die Finger nicht nur kalt, sondern auch taub und blutleer werden, könnte das sog. Raynaud-Syndrom dahinter stecken. Dieses ist auch als Leichenfinger, Weissfingerkrankheit oder Trikolore-Phänomen bekannt.

In der Regel ist das Raynaud-Syndrom harmlos. Es kann aber auch auf eine ernsthafte Erkrankung hindeuten.

Obwohl gemäss Literatur bis zu 20 Prozent der Bevölkerung betroffen sein können, die meisten davon sind Frauen, habe ich in meinem jahrelangen medizinischen Alltag bisher nur vereinzelte Fälle erlebt.

Seinen Namen hat das Raynaud-Syndrom von Herrn Maurice Raynaud, der die Krankheit im 19. Jahrhundert erstmals beschrieb.

Oft verfärben sich nicht die ganzen Finger, sondern nur die Fingerkuppen. Daumen und Handflächen sind meist nicht betroffen. Selten sind auch die Füsse betroffen.

Es gibt zwei Formen des Raynaud-Phänomens

Die primäre, sog. idiopathische Form tritt als direkte Krankheit auf und betrifft vor allem junge Frauen in oder nach der Pubertät. Das primäre Raynaud-Syndrom wird beispielsweise durch Kälteexposition, lokale Kompression oder emotionalen Stress ausgelöst. Die Attacken dauern wenige Minuten bis Stunden, wobei sich die Finger häufig taub und steif anfühlen. Schmerzen sind eher selten. Lokale Wärme oder Vasodilatatoren können den Spasmus lösen.

„Die schlimmste Klimakatastrophe ist die soziale Kälte“. (Thomas Holtbernd).

Diese Form manifestiert sich zumeist an den Fingern, seltener an den Zehen. Anfallsartig kommt es zum Vasospasmus, der die Finger zunächst weiss, dann blau (Zyanose) und als Zeichen der reaktiven Hyperämie schliesslich rot werden lässt. Das ist zwar unangenehm, aber in der Regel harmlos.

Allerdings kann sich hinter den «Leichenfingern» auch eine behandlungsbedürftige Grunderkrankung verbergen, die es aufzuspüren gilt. Die sekundäre Raynaud-Syndrom macht sich meist erst nach dem 40. Lebensalter bemerkbar. Dann können rheumatologische Erkrankungen wie Arthritis der Auslöser sein, oder es kann eine Sklerodermie dahinterstecken.

Auch Medikamente können das Raynaud-Syndrom beeinflussen, zum Beispiel Blutdruckmittel oder Antidepressiva.

Weitere Erkrankungen, die mit Schmerzen und/oder Taubheit der Hände einhergehen, sind unter anderem das Karpaltunnelsyndrom, das Subclavian-Steal-Syndrom sowie Gefässerkrankungen.

Weitere potentielle Ursachen eines sekundären Raynaud: Arterienverschlüsse, Schwermetalle, Traumata.

Was kann gemacht werden?

Sinnvoll ist Muskeltraining für die Finger, um die Durchblutung zu fördern, so allem Ausdauersport wie Joggen. Häufig treten Raynaud-Anfälle gerade wegen des Sports auf. Denn bei den meisten Sportarten verengen sich vorübergehend die Blutgefässe in den Fingern. Im Akutfall sollten die Finger vorsichtig gewärmt werden.

Auch Zigaretten sind für Raynaud-Patienten problematisch, denn Rauchen beeinträchtigt die Durchblutung und führt deshalb zu häufigeren und schwereren Anfällen.

Hat der Gefässkrampf schon eingesetzt und sind die Finger kalt und blutleer, ist die Versuchung gross, sie unter warmes Wasser zu halten. Doch mit dem Blut ist auch die Hitzeempfindlichkeit aus den Fingern gewichen. Es können deshalb Verbrühungen durch zu heisses Wasser drohen. Sicherer sind kleine Wärmekissen. Sie sind mit einem Gel gefüllt, das sich erwärmt, sobald ein kleines Metallplättchen gedrückt wird.

Da Stress ein möglicher Auslöser des Raynaud-Syndroms ist, kann man mit Entspannungstechniken vorbeugen.

„Kalte Füsse sind lästig, besonders die eigenen“ (Wilhelm Busch)